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Die Plaggenwirtschaft

eine einzigartige Form der Landnutzung in der nordwestdeutschen Tiefebene

Prof. Dr. Klaus Mueller

Die Plaggenwirtschaft ist eine historische Form der Landnutzung, die weltweit nur in der nordwestdeutschen Tiefebene praktiziert wurde. Der Beginn reicht bis zu 3000 Jahre zurück, eine großflächige Verbreitung fand die Plaggenwirtschaft aber erst zwischen dem 8. bis 12. Jahrhundert.

Bis vor ca. 1000 Jahren war die norddeutsche Tiefebene relativ dünn besiedelt. Die Landbevölkerung produzierte ihre Nahrungsmittel fast ausschließlich für den eigenen Verbrauch. Für den Ackerbau genutzt wurden die sogenannten Esche, deren Bezeichnung sich von dem gotischen Wort „astik“ ableitet. Damit wurden höher gelegene sandige Standorte bezeichnet, die eine relativ geringe Bodenfruchtbarkeit aufweisen, zugleich aber leicht zu bewirtschaften waren. Schwerere und damit potentiell ertragsreichere Böden wurde kaum genutzt, da sie mit den damals zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Geräten kaum bearbeitet werden konnten.

Im 9. bis 10. Jahrhundert kam es dann aber zu einem rasanten Anstieg der Bevölkerungszahlen. Gründe waren zum einen das sogenannte mittelalterliche Klimaoptimum mit günstigen Voraussetzungen für die Nahrungsmittelproduktion und damit zunehmenden Geburtsraten. Zum anderen stellten sich durch die Bildung des deutschen Kaiserreiches relativ stabile politische Verhältnisse ein. Das 11. und 12. Jahrhundert war zudem gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Stadtgründungen. Mit den bisherigen Anbaumethoden war der zunehmende Nahrungsmittelbedarf der wachsenden Bevölkerung nicht mehr sicher zu stellen. Notwendig wurden neue Anbaumethoden, die höhere Erträge bei zugleich steigender Ertragssicherheit gewährleisteten. In weiten Teilen Mitteleuropas kam es zur Einführung der Dreifelderwirtschaft. Nur in der norddeutschen Tiefebene etablierte sich auf den meist sandigen Böden eine andere Form der Landnutzung – die Plaggenwirtschaft (s. Abb. 1).

Abb. 1: Schema der Plaggenwirtschaft  (Darstellung: K. Thierer)

Abb. 1: Schema der Plaggenwirtschaft  (Darstellung: K. Thierer)

Im Zuge der Plaggenwirtschaft wurden Plaggen in der gemeinen Mark, den Allmendeflächen, geschlagen. Als Plaggen werden Gras-, Kraut- und Strauchsoden mitsamt dem Wurzelwerk und anhaftendem Bodenmaterial bezeichnet. Sie wurden mithilfe von Plaggenspaten, Plaggensensen oder Plaggenhauen (den sog. Twicken) von den Böden abgeschält (Abb. 2).

Abb. 2: Plaggenentnahme mit dem Plaggenspaten (li.) und der Plaggenhaue (re.)  (Foto: H. Schröder)

Abb. 2: Plaggenentnahme mit dem Plaggenspaten (li.) und der Plaggenhaue (re.)  (Foto: H. Schröder)

Entnahmegebiete waren Heide- und Ödflächen, nasse Niederungen, aber auch gemeinschaftlich genutzte Wälder. Die Plaggen wurden als Streu in die Tiefställe gebracht und verblieben dort teilweise über Monate. Nach der Entnahme wurde das mit Exkrementen vermischte Material in der Regel kompostiert, mit Hausabfällen angereichert, und anschließend als organischer Dünger auf die Äcker ausgebracht.

Durch die Plaggendüngung konnte der Roggen über längere Ernteperioden angebaut werden. Die Kultivierung von Winterroggen, seltener Sommerroggen, führte zu einer einseitigen, ganzjährigen Ackernutzung, die teilweise über Jahrzehnte hinweg ohne Fruchtfolgewechsel durchgeführt wurde. Regenerationszeiten wurden kaum eingehalten. So wurde auch vom „ewigen“ oder „hundertjährigen Roggenanbau“ gesprochen. Wurde vor Beginn der Plaggenwirtschaft noch etwa das 3-fache der Aussaatmenge geerntet, konnten anschließend das 7- bis 9-fache erzielt werden. Die Düngewirkung bestand in der Mineralisation und damit der Freisetzung der Nährstoffe aus der organischen Substanz. Hinsichtlich der Makronährstoffe wurden dem Boden gerade so viele Nährstoffe wieder zugeführt, wie entzogen wurden.

Die Grenzen der Plaggenwirtschaft liegen nördlich in Schleswig, südlich an der Grenze zum Sauerland, westlich in der niederländischen Provinz Drenthe und östlich in der Lüneburger Heide (Abb. 3).

Abb. 3: Verbreitungsgebiet der Plaggenwirtschaft  (Abbildung: BGR Hannover)

Abb. 3: Verbreitungsgebiet der Plaggenwirtschaft (Abbildung: BGR Hannover)

Der Aufwand, der für die Plaggenwirtschaft betrieben wurde, war enorm. Der in der deutschen Spache allgemein gebräuchliche Begriff des „sich plagen müssens“ oder der englischen Redewendung „I have to plague me“ (Ich muss mich quälen) zeigt, wie schwer und kräftezehrend der damit verbundene Aufwand war. Im Artland waren für die Düngung eines Hektars Ackerland etwa 60 Fuder Plaggen pro Jahr notwendig. Auf größeren Höfen war ständig eine Arbeitskraft für die diesbezüglichen Arbeiten eingesetzt. Auf kleineren Höfen war dafür bis zur Hälften der täglichen Arbeitszeit notwendig. Rechtsstreitigkeiten blieben dabei nicht aus. Die Höltingsprotokolle unterschiedlicher Bauernschaften legen Zeugnis darüber ab. Unberechtigte Plaggenentnahmen in Nachbargemeinden, Plaggendiebstähle und daraus resultierende Rechtsstreitigkeiten blieben nicht aus. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde schließlich ein ganzes Regelwerk erlassen, das bestimmte, durch wen, wann, wo und in welchem Umfang Plaggen entnommen werden konnten. Auch Strafen bei Zuwiderhandlungen wurden festgelegt. Erst mit Einführung der Mineraldüngung zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm die Plaggenwirtschaft ein Ende.

Mit der Plaggenwirtschaft waren wesentliche Landschaftsveränderungen verbunden, die heute noch weit verbreitet in der nordwestdeutschen Landschaft zu finden sind. Markantes Beispiel ist die Entstehung eines neuen Bodentyps, der weltweit nur im Verbreitungsgebiet der Plaggenwirtschaft zu finden ist und der als Plaggenesch bezeichnet wird. Er tritt in zwei Subtypen auf, dem „Braunen“ und dem „Grauen Plaggenesch“ (Abb. 4).

Bremer Sandspaten

Abb. 4: Bodenprofil eines Braunen (Fotos: K. Mueller u. L. Giani)

Bodenprofil eines Grauen Plaggenesch (re.)

Bodenprofil eines Grauen Plaggenesch (Fotos: K. Mueller u. L. Giani)

Die braune Variante ist aus Wiesenplaggen aufgebaut, die graue dagegen aus Heideplaggen. Auch heute noch zeigen Plaggenesche eine doppelte bis dreifach höhere Bodenfruchtbarkeit (ausgedruckt in der sogenannten Bodenwertzahl) als ihre sandreichen, wenig nähstoffhaltigen unterlagernden Böden, auf denen sie heute aufliegen.

Die Plaggendüngung bewirkte durch den Auftrag von Mineralboden auf die entsprechenden Ackerflächen eine Heraushebung aus der Landschaft. Die Erhöhung betrug über die Jahrhunderte hin betrachtet durchschnittlich 1 mm pro Jahr. Schätzungen zufolge mussten für 1 ha Ackerland ca. 13.000 t Boden transportiert werden, um ihn auf eine Mächtigkeit von einem Meter anwachsen zu lassen. Es entstanden Standorte mit bis zu 1,3 m starken Plaggenauflagen. Die Plaggeneschflächen lagen in der Regel am Rande der Siedlungen oder in der Mitte von ringsherum angeordneten Bauernhöfen. Anfangs handelte es sich um genossenschaftlich bearbeitete Äcker, die streifenförmig angelegt waren. Erst zum Ende des Hochmittelalters wurden sie dauerhaft auf Einzelbesitzer aufgeteilt. Ein sehr schönes Beispiel für eine solche Anlage ist der unmittelbar an der Lechtinger Windmühle in der Gemarkung Wallenhorst im Osnabrücker Land gelegene Lechtinger Esch (Abb. 5).

Abb. 5: Lechtinger Plaggeneschfläche (Foto: K. Mueller)

Abb. 5: Lechtinger Plaggeneschfläche (Foto: K. Mueller)

Ein charakteristisches Merkmal der Plaggenwirtschaft sind die Eschkanten. Sie sind dort zu finden, wo sich Plaggeneschflächen über dem Niveau der ursprünglichen Landschaft erheben. Besonders ausgeprägt sind sie, wenn Entnahmebereiche unmittelbar in die aufgehöhten Bereiche übergehen. Sie können dann eine Höhe von bis zu 2 m erreichen. Selbst für Laien sind diese Kanten deutlich im Gelände erkennbar (Abb. 6). Vor allem in den letzten Jahrzehnten wurden Eschkanten oftmals eingeebnet, um größere Flächeneinheiten für die landwirtschaftliche Nutzung zu schaffen.

Abb. 6: Eschkante  (Foto: K. Mueller)

Abb. 6: Eschkante  (Foto: K. Mueller) 

Verbunden mit der Niveauerhöhung war dort, wo die Plaggen über Jahrhunderte entnommen wurden, eine Tieferlegung der Oberflächen. In Niederungsbereichen konnte es dadurch zu zunehmenden Vernässungen kommen (Abb. 7). Später wurde hin und wieder versucht, diese Bereiche durch Aufüllungen wieder trockener zu legen. Neben natürlichem Bodenaushub wurde hierfür auch Bauschutt oder andere Abfallmaterialien verwendet.

Abb. 7: Abgeplaggter nasser Wiesenbereich, rechts im Hintergrund eine Eschkante (Foto: K. Mueller)

Abb. 7: Abgeplaggter nasser Wiesenbereich, rechts im Hintergrund eine Eschkante (Foto: K. Mueller)

Ein großes, mit der Plaggenwirtschaft verbundenes Problem war die Devastierung („Wüsten“-Bildung) der Flächen, auf denen Plaggen entnommen wurden. Besonders sandige Bereiche waren davon betroffen. Waren Bereiche abgeplaggt worden, war eine mehrere Jahre andauernde Regenerationszeit bis zu erneuten Plaggenentnahme notwendig. Das Verhältnis von aufgeplaggten zu abgeplaggten Flächen betrug in der Regel 1:5 bis 1:10. Vereinzelt konnte es auch 1:40 betragen. Die Folge war eine weitflächige Verheidung der Landschaften. Waren die Oberflächen erst einmal ihres Bewuchses beraubt, geriet der jetzt freiliegende Sand bei Wind oftmals in Bewegung. Vor allem nach wiederholter Plaggenentnahme war dies der Fall. Dann entstanden ausgedehnte Wehsandflächen oder auch Wanderdünen, die selbst für die Schafhaltung kaum noch nutzbar waren (Abb. 8). Die Ansiedlung von Markköttern und das Aufkommen des Heuerlingswesens verstärkte diese Entwicklung. Mitte des 18. Jahrhunderts entfielen ca. 50 % der norddeutschen Tiefebene auf karge Heideflächen. Reiseberichte aus jener Zeit sprechen vielerorts von trostlosen wüsten Landschaften, in denen wandernde Sände das Bild dominierten. Ein Kommentar lautete: „Nur fort hier, wer nicht bleiben muss“.

Abb. 8: Wehsandfläche und Dünen im Emsland (Foto: unbekannt)

Abb. 8: Wehsandfläche und Dünen im Emsland (Foto: unbekannt)

Ende das 17. bis Beginn des 19. Jahrhunderts kam es zu einer immer stärkeren Übernutzung der gemeinen Mark. Die bis dahin gemeinsam genutzten Flächen hörten auf eine Stütze der bäuerlichen Wirtschaft zu sein. Das machte eine deutliche Landnutzungsänderung notwendig. Dies geschah in Form der von ca. 1750 bis 1850 durchgeführten Markteilung, bei der das Allmendeland aufgeteilt und privatisiert wurde. Berücksichtigt wurden bei der Landaufteilung vor allem die Voll- und Halberbenhöfe. Kötter und Häuerlinge wurden dagegen kaum bedacht. Die bisherigen Ödländer wurden jetzt gepflegt und in teils ertragsreiche Wiesen oder Äcker umgewandelt.

Der Wert der Plaggenesche heute zeigt sich unter anderem in ihrer Ertragshöhe und ihrer Ertragssicherheit. Ausdruck dessen ist die sogenannte Bodenwertzahl (Wertesystem landwirtschaftlich genutzter Flächen von 1 bis 100 Punkten), die in der Regel doppelt bis dreifach so hoch ist wie die der benachbarten, nicht aufgeplaggten Böden.

Im Zuge des Klimawandels gewinnen zwei weitere Merkmale der Plaggenesche an Bedeutung. Es sind das im Vergleich zu den umgebenden Sandböden doppelt so hohe Wasserspeichervermögen und besonders der 10- bis 25-fach höhere Kohlenstoffgehalt. Plaggenesche gewinnen dadurch als effektive Wasserspeicher und als CO2-Senken an Wert.

Die Plaggenwirtschaft wird seit etwa 100 Jahren nicht mehr durchgeführt. In den aufgeplaggten Böden läuft aber der klimatisch bedingte und durch den Kimawandel beschleunigte Humusabbau weiter. Über längere Zeiträume werden die Plaggenesche daher immer weiter degradieren und allmählich ihre positiven Eigenschaften verlieren.

Ein weiteres Problem stellt die Überbauung dar. Plaggeneschflächen wurden in der Vergangenheit vor allem am Rande der Siedlungen angelegt. Durch die Ausweisung neuer Baugebiete, die Erschließung von Industrie- und Gewerbeflächen und durch den Straßenbau werden Plaggenesche dadurch heute in weit höherem Maße als andere Böden überbaut, abgebaggert und zerstört (Abb. 9). In Niedersachsen und Nordrheinwestfalen gelten sie zwar als schützenswerte Böden, bei Planungsabläufen findet das aber wenig Berücksichtigung.

Abb. 9: Überbauung von Plaggeneschen (Foto: K. Mueller)

Abb. 9: Überbauung von Plaggeneschen (Foto: K. Mueller)

Zusammenfassend kann die Plaggenwirtschaft als eine Jahrtausendleistung der bäuerlichen Gesellschaft in der nordwestdeutschen Tiefebene bezeichnet werden. Sie führte zu enormen Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion und zu noch heute deutlichen Umgestaltungen in der Landschaft. Sie war extrem arbeitsintensiv und hat mit Sicherheit auch zu einer sozio-kulturellen Prägung der Bevölkerung beigetragen. Letzteres ist jedoch nie untersucht worden.

Auch in unserer Zeit haben Plaggenesche ihren Wert, sie unterliegen allerdings erheblichen Gefährdungen. Umso erstaunlicher ist es, wie gering der Kenntnistand über diese historische Form der Landnutzung heute in der Bevölkerung ist. In der In der Lechtinger Windmühle (Gemeinde Wallenhorst, Landkreis Osnabrück) wird daher zurzeit ein „Informationszentrum Plaggenwirtschaft“ eingerichtet (Abb. 10).

Abb. 10: Lechtinger Windmühle (Foto: K. Mueller)

Abb. 10: Lechtinger Windmühle (Foto: K. Mueller)

Im Rahmen einer Ausstellung soll anschaulich über die Plaggenwirtschaft informiert werden. Auch die Einrichtung eines Rundweges zu deren typischen Landschaftselementen wird vorbereitet.

Auf dieser Seite wird zukünftig über den Fortschritt der Errichtung des „Informationszentrum Plaggenwirtschaft“ und neuere interessante Arbeiten zum Thema berichtet werden.

Prof. Dr. Klaus Mueller
Wallenhorst
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